„Lebensmelodien“ – das sind jüdische Melodien, musikalische Werke, die im Zeitraum 1933–1945 komponiert und gesungen, manchmal auch aufgeschrieben wurden. Hinter den Lebensmelodien verbergen sich die Lebensgeschichten jüdischer Schicksale. In den unmenschlichsten Situationen der Verfolgung und Ermordung, zwischen Leben und Tod, sind diese Melodien enstanden. Die Musik hat geholfen in den Ghettos und Lagern zu überleben – oder auch von dieser Welt Abschied zu nehmen.
Wir haben das Glück, dass zahlreiche Kompositionen und Geschichten erhalten geblieben sind. Etwa die Werke von Shmuel Blasz und Shmuel Lazarovich; zwei Freunden, die in einem ungarischen Arbeitslager singend, nebeneinander arbeitend, komponiert haben.
Einer von beiden hat überlebt und nach Kriegsende im Schrank seines Freundes die Noten der Kompositionen gefunden. Shmuel Lazarovich bewahrte die Werke auf und gab sie an die nächsten Generationen weiter, sodass man der Geschichte seines Freundes gedenken würde.
Das Projekt „Lebensmelodien“ führt jüdische Werke aus der Zeit des Holocaust auf. Es sind Melodien, die größtenteils in Verlorenheit und Vergessenheit geraten sind, die jetzt, 75 Jahre später, wieder erklingen sollen. Teilweise sind es Uraufführungen von Melodien, die von den Holocaust-Nachkommen zur Verfügung gestellt werden; teilweise werden Melodien, die damals gesungen wurden, für Instrumente bearbeitet und von einem klassischen Ensemble aufgeführt.
Insgesamt sind deutschlandweit 10 Konzerte geplant, von November 2020 bis Ende 2022. Das Programm einer „Lebensmelodien“-Veranstaltung beinhaltet nebst musikalischer Darbietung auch eine Lesung der Biographien derjeniger, die die Melodien gesungen haben. „Durch die Aufführung der Stücke wird neues Leben geschaffen. Den Melodien und den Menschen dahinter wird in diesem Moment Raum gegeben. Im Vordergrund des Projekts steht die Bewahrung von Erinnerungen durch Musik und die Herstellung einer ‚lebendigen Erinnerung‘“, erklärt der Künstlerische Leiter des Projekts, Nur Ben Shalom. Seine Recherchen über das Leben und Werk einzelner Komponisten in den Archiven weltweit sind daher motiviert, den vergessenen jüdischen Melodien und Lebensgeschichten in Deutschland und Europa gebührend Raum und Gehör zu verschaffen.
Gefördert wird das Projekt vom Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein. „Wir freuen uns sehr, dass unser Konzept, jüdische Musik insbesondere aus der Zeit des Holocaust in Konzerthäusern, Synagogen, Kirchen, auf öffentlichen Plätzen und in Schulen aufzuführen, vom Antisemitismusbeauftragten befürwortet und gefördert wird“, sagt der Superintendent des Kirchenkreises TempelhofSchöneberg und Leiter der Kooperation „Grenzgänge“, Michael Raddatz. „Wir führen den Kampf gegen den Antisemitismus als interreligiöse Kooperation gemeinsam und mit den Mitteln der Bildung und der Musik.“
„Die deutsche Geschichte mit der NS-Zeit ist auch die Geschichte der Menschen, die in die Bundesrepublik eingewandert sind“, sagt Dr. Aydın Süer von der Alhambra-Gesellschaft und unterstreicht: „Die Aufarbeitung der Shoah ist für die muslimische Bevölkerung in Deutschland zu einem Teil ihres Selbstverständnisses geworden. Das wollen wir sichtbar machen.“
„Die gemeinsame Auseinandersetzung in einem multireligiösen Team mit unserer deutschen Geschichte und all ihren Abgründen fördert gerade in diesen Zeiten unsere Vision des Zusammenlebens“, betont Dr. Sarah Albrecht, Studienleiterin für den interreligiösen Dialog an der Ev. Akademie zu Berlin.
Mehr als nur Konzerte …
Das Anliegen von „Lebensmelodien“ ist es, dass die vergessenen jüdischen Melodien und die Lebensgeschichten der Komponisten in Deutschland wiederbelebt werden. Im Dreiklang von Archivrecherche, Uraufführungen und musikpädagogischer Vermittlung soll diese Musik der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Unser Ziel ist es, die jüdischen Melodien und Werke in der Zeit von 1933-1945 aufzubereiten und dem Leben und Werk der Komponisten Gehör zu schenken.
Kontakt: Projekt „Lebensmelodien“
lebensmelodien@ts-evangelisch.de
„Lebensmelodien“ ist Teil der interreligiösen Reihe „Grenzgänge“, die gemeinsam von der Alhambra-Gesellschaft, der Apostel-Paulus-Gemeinde, dem Berliner Missionswerk, der Evangelischen Akademie zu Berlin und dem Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg organisiert wird. In dieser Reihe verbinden wir die inhaltliche Auseinandersetzung mit interreligiösen Fragen mit der Suche nach künstlerischen Zugängen zur Begegnung von Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Prägung.