Nach Hanau

Die Angehörigen der Opfer von Hanau werden den Rest ihres Lebens ohne ihre Liebsten verbringen müssen. Auf die Frage nach dem „Warum?“ werden sie keine Antwort finden, die ihnen Trost verschafft.

Denn die Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ der Anschläge von Hanau ist so simpel wie unerträglich. In unserer Gesellschaft gibt es in weiten Teilen die Überzeugung, dass bestimmte Gruppen von Menschen, anderen Gruppen von Menschen überlegen seien. Das ist der Nährboden, auf dem dieser erste Keim der Überlegenheitsvorstellung heranwächst bis er letztlich Früchte der Verachtung, der Entmenschlichung, des Hasses und schließlich der Tötungsrechtfertigung trägt.

Als Gesellschaft tragen wir seit Jahren kontinuierlich zum Heranreifen dieser bitteren Früchte bei. Unsere Debatten um vermeintliche kollektive Minderwertigkeiten bestimmter Gruppen sind der Dünger dieser Früchte.

Unsere mediale Sprache, mit der wir kollektiv auf solche Taten reagieren, setzt die spaltenden Fliehkräfte fort und erhält sie aufrecht – vielleicht ohne es zu merken. Schnell ist die Rede von einer Schießerei. Als ob sich Konfliktparteien einen Schusswechsel geliefert hätten. Oder von einer Blutnacht, einer Art rituellem Exzess. Es soll sich um eine Raserei handeln, also um eine undurchdachte, impulsive, affektive Überreaktion.

Der Täter, ein Irrer, ein Wahnsinniger. Die Pathologisierung des Hasses lässt ihn zu einer Art Naturkatastrophe werden, für die niemand was kann. Die Tat wird als Betriebsunfall unserer Gesellschaft verstanden, als individuelle Abweichung eines verwirrten Einzeltäters. Letztlich also nicht zu verhindern und ohne Bezug zu uns als Gesellschaft. Die Gewalt kommt damit nicht aus unserer Mitte. Sie bricht von außen über uns herein.

Es ist diese Vorstellung, dass terroristische Gewalt nie von uns Deutschen begangen werden kann, sondern immer nur von Fremden, die etwas gegen unsere Lebensweise haben. Die Vorstellung, dass wir für unsere Kultur und die Art unseres Zusammenlebens gehasst werden und deshalb zum Ziel heimtückischer fremder Gewalt werden.

Wir müssen endlich begreifen, dass diese letzte Beschreibung terroristischer Gewalt genau das beschreibt, was in Hanau passiert ist. Der Täter empfindet sich unserer heterogenen Gesellschaft entfremdet. Dort, wo es soviel Anderes gibt, wird er zum Fremden. In so einer Gesellschaft will er nicht leben, in der soll auch seine Mutter nicht leben.

Er hasst eine deutsche Kultur, die sich in einer Bevölkerung entwickelt, in der jeder Vierte in seiner Biografie oder in der seiner Eltern eine Einwanderungsgeschichte hat. Diese Art des Zusammenlebens, mit Döner, Shisha, Moschee kann er nicht ertragen.

Wer das nicht erkennt, wer immer noch glaubt, es gebe einen kulturellen Unterschied im Hinblick auf Gewalt, setzt den mörderischen Überlegenheitswahn der Täter fort. Es waren die damaligen Ermittler, die die Täter der NSU-Morde im „Opfermilieu“ suchten, weil das Töten eines anderen Menschen in unserer deutschen Kultur mit einem hohen Tabu belegt sei. Die gleiche Vorstellung kommt in den Schlagzeilen zum Ausdruck, welche die Taten von Hanau nur zögerlich als Terror definieren können.

Wir müssen diese Vorstellung überwinden, um die richtigen Reaktionen auf die Tat von Hanau zeigen zu können. Der Terror von Hanau war nicht fremdenfeindlich oder ausländerfeindlich und damit von solchen Eigenschaften ausgelöst, die den Opfern zuzuschreiben sind.

Dieser Terror war rechtsradikal und rassistisch und damit von Eigenschaften geprägt, die dem Täter zuzuschreiben sind.

Die Reaktion darauf muss sein, dass wir uns alle als deutsche Gesellschaft verstehen, die in all ihren Ausprägungen und Unterschieden zusammenhält. Und jene, die diese Vielfalt ablehnen, werden zu Fremden in unserer Gesellschaft. Nur jene Kultur verdient es, als überlegen verstanden zu werden, die sich für das friedliche Zusammenleben aller Menschen einsetzt.

Mögen die Opfer der Terroranschläge von Hanau im Jenseits den Frieden finden, der ihnen im Diesseits nicht zugestanden wurde. Mögen die Hinterbliebenen die Kraft und die Geduld finden, den tiefen Schmerz ihrs Verlustes zu ertragen. Und möge aus diesen Taten die Erkenntnis heranwachsen, dass wir nur gemeinsam den Hass überwinden können.

Alhambra Gesellschaft e.V.

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