Am 20. September gibt es an zahlreichen Orten Demonstrationen für ein Umdenken in der Klima- und Umweltpolitik. Seit einigen Jahren gibt es auch seitens europäischer Muslime einen Umweltdiskurs, der ökologische Themen mit einer islamischen Ethik verbindet. Doch inwiefern kann man aus dem Islam Handlungsanweisungen für ökologische Nachhaltigkeit ableiten? Muslimische NGOs in Großbritannien könnten hier für die islamische Welt eine Vorbildsfunktion einnehmen.
Von Eren Güvercin
In der islamischen Welt ist das Bewusstsein für Umweltthemen nicht sehr ausgeprägt oder besser gesagt gar nicht vorhanden. Ob man nun in Kairo, Istanbul oder Islamabad ist, das Thema Umweltschutz ist oft unbekannt, obwohl die daraus resultierenden Probleme immer gravierender werden. Dies umfasst nicht nur die mangelhafte Umweltpolitik vieler muslimischer Staaten, sondern auch den Alltag der Menschen. Der UN-Bericht zur Arab Human Development dokumentiert diese Rückständigkeit in der islamischen Welt in all ihren Facetten. Der arabische Autor Rami G. Khouri, der sich mit den Ergebnissen dieses Berichts auseinandergesetzt hat, sieht in der Art und Weise, wie die Menschen in der arabischen Welt mit der Umwelt und den Ressourcen umgehen, ein großes Problem. Es sei alles in allem ein „schmerzhaftes Gesamtbild“.
Großbritannien ist weiter: Prinz Charles, Islam und Umweltschutz
Beunruhigend ist vor allem der Trend, dass besonders in den Städten das Bevölkerungswachstum sehr hoch ist. Während 1970 38% der arabischen Bevölkerung in den Städten lebte, sollen es 2020 60% werden. Umweltprobleme wie verschmutztes Wasser, Wassermangel, Wüstenbildung und Anstieg des Meeresspiegels wie etwa in der Nil-Deltaregion werden vielerorts zu einer prekären Situation führen.
Auch wenn einige Prestigeprojekte geplant sind, wie etwa das Großprojekt der Öko-Stadt Masdar-City, auf den Alltag und das Handeln der Bevölkerung wird es keinen großen Einfluss haben. Ein Blick auf die Aktivitäten der europäischen Muslime könnte hier jedoch zeigen, wie es funktionieren könnte, die Bevölkerung für ökologische Themen zu sensibilisieren.
In Großbritannien ist es längst nichts außergewöhnliches, wenn im Zusammenhang mit Umweltschutz und ökologischer Nachhaltigkeit auch vom Islam die Rede ist. Im Juni 2010 hielt Prinz Charles im Sheldonien Theatre in Oxford einen bemerkenswerten Vortrag zum Thema „Islam und Umweltschutz“.
Darin setzte sich der britische Thronfolger mit dem Konzept des „Öko-Islams“ auseinander, der aus den islamischen Quellen heraus Handlungsanweisungen für ökologische Nachhaltigkeit ableitet. In seiner Rede lobte Prinz Charles auch den Einsatz und die Arbeit der muslimischen NGO’s auf diesem Gebiet und sicherte diesen auch seine weitere Unterstützung zu.
Eine der bekanntesten Organisationen ist die britische Islamic Foundation for Ecology and Environmental Sciences, kurz IFEES. Sie ist eine bei der UNO registrierte NGO und eine Schwesterorganisation der international tätigen Alliance of Religions and Conservation (ARC), mit der sie zusammen Küstenschutzmaßnahmen im afrikanischen Raum entwickelt hat. In Sansibar hat sie etwa das erreicht, was viele Organisationen davor nicht erreicht konnten: die Beendigung der Dynamitfischerei.
Erst als die IFEES gemeinsam mit islamischen Gelehrten den Fischern deutlich machten, was die ökologische Ethik des Korans aussagt, konnten sie überzeugt werden. „In Sansibar haben wir durch den Koran das Verhalten der Menschen verändert“, sagt Fazlun Khalid, Vorsitzender der IFEES. „Diese haben die Korallenriffe mit Dynamit befischt. Durch unser Training wurde den Menschen bewusst, dass sie – wie das Meer, die Fische und die Korallen – auch Teil von Allahs Schöpfung sind. Als Khalifa sind sie die Sachwalter von Allahs Schöpfung und müssen sie bewahren. Dieses Bewusstsein war sehr wichtig. Kurz nach dieser Trainingssitzung hörte das Fischen mit Dynamit in den Korallenriffen auf.“
Welche Umweltkonzepte lassen sich aus dem Islam ableiten?
Die Arbeit der IFEES ist auf diesem Gebiet vorbildlich. Über ihre Initiativen in Großbritannien hat sie ein medienwirksames Bild eines Öko-Islams entworfen. Ihr Newsletter EcoIslam zeigt eine eindrucksvolle Synthese von islamischen Diskursen und Umweltdiskursen. Gekonnt werden Informationen auch über globale Zusammenhänge und praktische Maßnahmen für den Alltag vermittelt. IFEES ist mit anderen lokalen britischen Organisationen, die in den letzten Jahren entstanden sind, vernetzt. Gemessen daran stellt sich Deutschland bislang noch als ein Entwicklungsland dar. Doch welche Umweltkonzepte lassen sich aus dem Islam ableiten?
Die Soziologin Sigrid Nökel hat sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Für die Stiftung Interkultur verfasste sie eine Untersuchung zum Thema Islam, Umweltschutz und nachhaltiges Handeln, die 2009 in der Reihe „Stiftung Interkultur – Skripte zu Migration und Nachhaltigkeit“ erschienen ist. Bestimmte koranische Begriffe prägen dabei das Umweltkonzept des Islam. „In diesen Zusammenhang“, so Sigrid Nökel gegenüber Telepolis, „gehören Begriffe wie fitra – die Schöpfung – als ursprüngliche natürliche Ordnung; tawhid – die Einheit der Schöpfung, wonach alle Dinge der Welt miteinander in Beziehung stehen und, weil sie alle gleichermaßen Zeichen Gottes sind, alle gleich bedeutsam, wertvoll und bewahrenswert sind; mizan, die Balance, also der Zustand einer wohl geregelten Schöpfung, den es zu erhalten bzw. wiederherzustellen gilt.“ Aus früheren Zeiten seien auch Regelungen bekannt, die man als Instrumente eines Natur- und Artenschutzes bezeichnen kann und die man heute versucht wiederzubeleben.
Dazu zählen so genannte Harim- und Hima-Zonen. Darunter fallen Schutzzonen um Quellen und Wasserläufe, die z.B. nicht besiedelt werden durften, um das Wasser nicht zu verunreinigen. „Oder es gab Wiesen- oder Waldbereiche, die nur zu bestimmten Zeiten, z.B. nach der Pollenernte oder wenn Trockenzeiten drohten und zu bestimmten Zwecken zur Nutzung freigegeben waren. Diese Maßnahmen gerieten im Zuge der Privatisierung des Bodens, der Intensivierung der Landwirtschaft und der zunehmenden Bebauung in Vergessenheit. Seit einigen Jahren versucht man, sie im Zuge von Wasser-, Ufer- und Artenschutzprojekten wieder einzuführen.“
Seyyid Hussein Nasr, ein 1939 geborener muslimischer Philosoph und Theologe, hat eine Art Öko-Theologie erarbeitet. Nach seinem Ansatz stellen Natur, Mensch, Gott bzw. Himmel und Erde ein ursprünglich wohl ausbalanciertes Ordnungsgebilde dar. Seiner Ansicht nach verleugnen die Menschen diese Ordnung aber seit der europäischen Aufklärung und haben an ihre Stelle eine anthropozentrische Ordnung gesetzt, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und ihm mangels Bindung an eine höhere Ordnung freie Bahn gibt für die Ausbeutung der Natur.
Nasr zufolge ist der Mensch ein grenzenlos egoistisches und gieriges, aber gleichzeitig nach Transzendenz strebendes Wesen, das ohne kosmologische Verankerung aber keine wirkliche Befriedigung findet und daher in stetig gesteigertem Konsum und in perfektionierter Technik ein Ventil sucht. Die Umweltkrise ist für ihn eine spirituelle Krise. Diese Diagnose betrifft auch den Islam und die Muslime, die wieder zu ihrem ursprünglichen Weg zurückfinden müssten.
„Nasr setzt, in der Sufi-Tradition, vor allem am einzelnen Menschen an, der die kosmologischen Gesetze erkennen und sich in sie einfügen müsse“, erklärt Nökel. Die Orientierung am Spirituellen würde dann die Orientierung am Konsum ersetzen. „Das ist gleichzeitig sehr konservativ, aber auch sehr aktuell, wenn man an die allgegenwärtigen Forderungen in Richtung Konsumverzicht und Änderung des Lebensstils denkt“, betont Nökel. Es scheint, dass den Menschen in der islamischen Welt der Zusammenhang zwischen Religion und Umweltschutz nicht bewusst ist: „Wie es scheint, müssen Muslime sich erst noch über den Zusammenhang von Religion und Umwelt klar werden. Für viele sind das zwei völlig verschiedene Zusammenhänge, die sie bislang nicht zusammengeführt haben. Möglicherweise kann eine Idee wie der „Öko-Islam“ Impulse setzen, sich mit dem Umweltthema zu identifizieren, sich und seinen Lebensstil wie seine Alltagsgewohnheiten im Hinblick darauf zu reflektieren.“
Über Moscheegemeinden und islamische Gruppen würde man eine große Gruppe von Menschen erreichen, die sich sonst nicht angesprochen fühlen. Umweltdiskurse könnten hier verankert werden. Durch Vernetzungen mit anderen Umweltgruppen und -organisationen wäre die Umweltbewegung einen Schritt weiter.
Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass man sehr wohl die Muslime für dieses wichtige Thema sensibilisieren kann, und welch großes Potential vorhanden ist. Fazlun Khalid von der IFEES betont, dass Muslime wie Nichtmuslime auf diesem Gebiet zusammenarbeiten müssen: „Wir haben keine andere Wahl, denn dies ist unser gemeinsamer Planet. Wir bereisen die gleichen Straßen, gehen in die gleichen Geschäfte, essen von den gleichen Bäumen und fällen die gleichen Bäume, von denen wir alle profitieren. Wenn ein Muslim einen Baum in seinem Garten pflanzt, könnte ein Christ oder ein Hindu, der irgendwo in Indien lebt, davon Nutzen ziehen.“
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