Am 28. Mai 2020 fand die zweite Zoom-Diskussion im Rahmen von MuslimDebate statt. Nicole Erkan von MINA e.V., Dennis Sadiq Kirschbaum von JUMA e.V. und die Aktivistin und angehende Juristin Rabia Küçükşahin diskutierten über das Thema, wie Muslime mit innermuslimischer Vielfalt umgehen.
Im Diskurs betonen wir zwar immer die Vielfalt unter uns Muslimen, aber wie gehen wir damit in der Realität um, wenn unterschiedliche religiöse Auffassungen, politische Sichtweisen oder Einschätzungen aufeinanderprallen? Wie können wir dies zum Anlass nehmen, um in einen fruchtvollen und konstruktiven Austausch zu kommen?
Eine Frage, die besonders Konvertiten beschäftigt, ist dabei die ethnische Ausrichtung einiger Gemeinden.
Nicole Erkan: „Ich bin seit 18 Jahren Muslima und kann sagen, dass die Zugehörigkeit ganz stark von der Ethnie abhängt. Als deutsche Muslima habe ich oftmals das Gefühl, ein Alien zu sein. In dem Moment, wo ich eine sichtbare Muslime wurde, das heißt, ich habe mich für ein Kopftuch entschieden und man konnte mir mein Muslimsein ansehen, habe ich die Zugehörigkeit zur deutschen Community verloren und zur muslimischen gar nicht so gefunden, weil ich Deutsche bin. Und das war immer ein großer Konflikt für mich.“
Auch die Sprache spiele immer noch eine wichtige Rolle, da die Predigten oftmals nur in der jeweiligen Sprache der Moscheegemeinde gehalten werden und nicht in Deutsch, so Erkan. Diejenigen, die diese Sprache nicht verstehen, würden nichts von der Predigt verstehen. Auch deutschsprachige Angebote in den Moscheen würden immer noch kritisch beäugt oder abgelehnt. Dies sei nicht nur eine Haltung der älteren Generation, sondern erstaunlicherweise auch die der jüngeren.
Rabia Küçükşahin: „Interessant war zu beobachten, als ich deutschsprachigen Unterricht in der Moschee anbieten wollte, dass Gegenwind nicht von der älteren Generation kam, sondern von Leuten, die in meinem Alter waren.“
Es sei daher nicht nur eine Frag der Generationen, so Küçükşahin. Am Ende sei das Angebot aber mehr und mehr angenommen und fortgeführt worden, weil das nun mal Kinder seien, die auf deutsche Schulen gehen. „Sie bekommen Fragen gestellt und müssen letztendlich auch eine Sprachfähigkeit auf Deutsch entwickeln.“
Nicole Erkan erkennt auch eine Veränderung in der Community. Es gäbe immer mehr Muslime, die ihre Identität nicht mehr so stark über die Ethnie definieren würden, sondern mehr über Werte. „Die Muslime wollen immer weniger kategorisieren lassen.“
Dennis Sadiq Kirschbaum: „Es gibt ein Bewusstsein, dass es viele interessante Themen gibt, worüber man reden könnte, es gibt aber noch nicht genügend Räume. Es ist wichtig Räume zu schaffen, Empowerment zu schaffen, sich zu strukturieren, sich zu organisieren und vor allem medienwirksame Arbeit zu machen, um dann auch die Außenwahrnehmung zu ändern.“
Viele Jugendliche fühlten sich zu JUMA e.V. hingezogen, weil sie eben sagen, dass ihr Türkisch, Arabisch etc. nicht ausreichten, um die Predigt komplett zu verstehen. JUMA versuche hier einen anderen Weg aufzuzeigen, eine andere Perspektive zu schaffen, nämlich dass es genug deutschsprachige Musliminnen und Muslime gäbe, die sich selber organisieren. Kirschbaum betonte aber auch, dass die Sprache zwar eines der wichtigsten Probleme darstelle, das angegangen werde müsse, aber die Frage nach einem Strukturwechsel sei ebenfalls unumgänglich.
Nicole Erkan beobachtet etwa ein starkes Ungleichgewicht in den Vorständen. Das war auch ein Grund, warum sie sich bei MINA e.V. engagiert habe: „Es herrscht Geschlechterungerechtigkeit. Und wir wollten unser Frauending machen. Und das gibt es in unserer Umgebung nicht noch ein zweites Mal: Ein muslimischer, von Frauen selbstbestimmter, deutschsprachiger Verein. Es gibt auch immer mehr Nichtmuslime, die sich hier engagieren, die begeistert davon sind und mitmachen wollen.“
Auch Dennis Sadiq Kirschbaum versuchte innerhalb der Jugendarbeit in einer Gemeinde zu engagieren. „Wir wollten wir Redner zu bestimmten Themen einladen und haben dafür das Gespräch mit dem Vorstand gesucht wegen den Honoraren etc. Der Vorstand fand die Ideen gut, sie hatten allerdings keine Gelder für solche Projekte. Wir wurden ein wenig ausgebremst.“ Er habe gemerkt, dass man in der gängigen Jugendarbeit nicht weiter komme, es sei denn man wollte sich ausschließlich mit theologischen Fragen beschäftigen. Da gäbe es natürlich viele Angebote. Darüber hinaus werde es aber dann schwierig.
Im Rahmen von JUMA e.V. verfolgt Kirschbaum einen anderen Ansatz.
Dennis Sadiq Kirschbaum: „Unser Hauptziel ist es nicht die unterschiedlichen politischen oder konfessionellen Einstellungen innerhalb der Vereinsarbeit zu diskutieren. Das heißt nicht, dass diese Diskussionen nicht stattfinden. Wir stärken die Mündigkeit der Jugendlichen, damit diese dann in den Pausen oder im Privaten solche Gespräche auf eine respektvolle Art und Weise führen können. Sie werden in ihrer eigenen Identität gestärkt, sie sollen sich gestärkt fühlen und nicht überheblich werden.“
Was man brauche, sei viel mehr Streit, respektvoller Streit, so Kirschbaum. „Es geht nicht darum eine Norm oder eine Political Correctness zu schaffen. Wir müssen einander aushalten können in unserer Vielfältigkeit.“
Die Haltung gegenüber Minderheiten innerhalb der muslimischen Community muss sich nach Nicole Erkan auch ändern, damit eine Einheit überhaupt entstehen kann. Nicole Erkan: „Es muss nicht immer alles theologisch ausdiskutiert werden. Manchmal ist es wichtiger emotional und emphatisch an die Sache heranzugehen. Wie zum Beispiel mit dem Thema der Homosexualität. Ob es erlaubt ist oder nicht, sollte nicht das Thema sein. Die Frage sollte eher sein, wie fühlt es sich an nicht akzeptiert zu sein. Denn wir Muslime kennen das Gefühl, nicht akzeptiert zu sein. Und wollen wir dieses Gefühl auch anderen geben?“
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