Eren Güvercin: „Deutscher Islam – warum nicht?


Wer und was gehört zu Deutschland? Über Religion wird mit dieser Fragestellung derzeit heftig diskutiert. Der Journalist und Autor Eren Güvercin fordert Muslime hierzulande auf, sich mit dem Gedanken an einen deutschen Islam anzufreunden. (Beitrag erschienen im Politischen Feuilleton – Deutschlandfunk Kultur)

Kürzlich sagte Staatssekretär Markus Kerber vom Bundesinnenministerium, dass es in der neuen Auflage der Deutschen Islam Konferenz unter anderem um die Frage gehen solle, ob es so etwas wie einen „deutschen Islam“ gebe, und wie dieser aussehe. Eine Antwort könnten nur Muslime selber geben, nicht die Politik.

Widerspruch zwischen deutsch und muslimisch?

Diese Aussage löste bei einigen Funktionären muslimischer Verbände allergische Reaktionen aus. Insbesondere Vertreter der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) in Person des Generalsekretärs Bekir Altas und Alt-Funktionärs Ali Kizilkaya schwadronierten auf Twitter von einem „bestellten Islam“ nach Vorgabe des Staates. Deutscher Islam wurde von beiden mit „Schweinshaxe“ und „Weizenbier“ assoziiert.

Das sind ähnliche Reaktionsmuster, die man ansonsten nur von AfD und aus identitären Kreisen kennt, nämlich dass es einen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen deutsch und muslimisch gäbe. All jene Muslime, die sich selbstbewusst und selbstbestimmt als deutsche Muslime bezeichnen, sehen sie als vom wahren Weg Abgekommene und fühlen sich in ihrer Monopolstellung bedroht.

Türkischer Nationalismus als Frommheit getarnt

Den Begriff „deutscher Islam“ kann man durchaus kritisch sehen, denn warum muss man einen Glauben einer nationalen Kategorisierung unterwerfen? Nur soll man da aber bitte schön auch konsequent und aufrichtig sein. Denn zu dem insbesondere bei türkeistämmigen Muslimen sehr dominanten Begriff des „türkischen Islams“ hört man von den oben genannten Akteuren nichts.

Ganz im Gegenteil findet gerade in jüngster Zeit eine massive Reethnisierung und ein Wiederaufblühen eines türkischen Nationalismus statt, der sich mit einem frommen Mantel tarnt. Gerade deswegen ist diese Diskussion über die Identität als deutscher Muslim wichtiger denn je.

Den Begriff „deutscher Islam“ mit Inhalt zu füllen

Aber es gibt auch Kritiker jeglicher Form eines konservativ-traditionellen Islamverständnisses, den diese aber gerne mit Labels wie „Euro-Islam“ oder vielleicht auch „deutscher Islam“ zu diskreditieren versuchen. Ein Gläubiger muss nicht eine „liberale“ Auffassung seiner Religion vertreten, um ein guter Staatsbürger zu sein.

Statt dem inflationären Gebrauch von oberflächlichen politischen Labels ist es wichtig, diesen Begriff „deutscher Islam“ auch mit Inhalt zu füllen. Die Entwicklung einer für junge Muslime positiven und hier verorteten deutsch-muslimischen Identität geht aber über Inhalte, nicht über plakative Schlagworte.

Muslime haben sich schon immer assimiliert

Ein deutscher Islam wäre ein entgettoisierter Islam, in dem man die Gettos in den Köpfen überwindet. Dazu gehört auch eine Entnationalisierung, und zwar, indem man in Deutschland nicht mehr von türkischen, marokkanischen oder bosnischen Verbänden spricht, sondern von deutschen Muslimen. Da müssen wir Muslime wieder etwas erlernen, was wir im Zuge der Auseinandersetzung mit der Moderne und mit Ideologien wie dem Nationalismus verlernt haben.

In der islamischen Denktradition war der Urf, also der Brauch, die Tradition und Kultur der Region, in der man lebt und beheimatet ist, immer ein Orientierungspunkt. Muslimische Händler und Reisende, die in Regionen kamen, wo mehrheitlich Nichtmuslime lebten, haben sich der jeweiligen Urf angepasst, sei es auf dem Balkan, in Afrika oder in Asien. Und auch wenn es für manche Muslime heute provokant klingen mag: Sie haben sich assimiliert.

Der Islam beinhaltet kein kulturelles Bekenntnis

Heute ist dieser Begriff bei Muslimen durchgehend negativ konnotiert, aber die Muslime haben in der Historie den Islam nie als Kultur aufgefasst, sondern als ein Filter für Kulturen. Das Glaubensbekenntnis, die Schahada, als erste Säule des Islam beinhaltet kein kulturelles Bekenntnis. Auch anhand der Zakat – eine weitere Säule des Islam – kann man dieses tiefliegende Missverständnis erkennen.

Die Zakat, bei der man einen bestimmten Teil seines Vermögens an arme und bedürftige Menschen abgibt, wird in Deutschland grundsätzlich ins Ausland, in die sogenannte islamische Welt transferiert, obwohl es religiöses Gebot ist, erst den Armen und Bedürftigen in seiner nächsten Umgebung zu helfen. Auch das ist ein „deutscher Islam“: Indem man diese wichtige Säule des Islams korrekt praktiziert, indem man Verantwortung für diese Gesellschaft wahrnimmt, vor der eigenen Haustür die Not lindert und seinen Mitmenschen hilft.

Deutscher Islam ist auch, dass man in der schönen deutschen Sprache die Spiritualität und den Glaubenskern in Worte fasst, sodass auch den Mitmenschen in Deutschland zumindest nachvollziehbar ist, warum es für deutsche Muslime schön ist, Muslim zu sein.

Für eine deutsch-muslimische Identität

Ein deutscher Islam ist also nicht die Aufgabe zentraler religiöser Inhalte, sondern ganz im Gegenteil die Belebung dieser Glaubenspraxis im Hier und Heute.

Gerade heute, wo ganz unterschiedliche Akteure auf beiden Seiten den Islam und die Muslime als etwas Fremdes markieren, ist die inhaltliche Debatte über eine deutsch-muslimische Identität unverzichtbar.

Eren Güvercin ist freier Journalist und Autor. Er schrieb unter anderem das Buch „Neo-Moslems – Porträt einer deutschen Generation“. Er ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der Alhambra Gesellschaft e.V. und betreibt zusammen mit Engin Karahan den Blog Freitagsworte, auf dem immer freitags Texte über den Islam erscheinen.